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Digitale Medien in Jugendstrafverfahren: Das Handy als Kriminalitätsfaktor?
Recht beruht auf Kommunikation, weshalb digitale Medien und damit neue Formen des Informationsaustausches zwangsläufig Auswirkungen auf das Recht haben. Die Schattenseite der ansteigenden Nutzung von digitalen Medien spiegelt sich in den Gerichtssälen wider. Rechtliche Grenzen – sofern vorhanden – scheinen durch digitale Medien leicht übertretbar, sodass neue Kriminalitätsfelder entstehen oder Kriminalität schlichtweg sichtbarer wird. Denn die weitreichenden Freiheiten, die Smartphones und Internet schaffen, bieten zugleich Einfallstore für illegales Verhalten unter dem Deckmantel der Anonymität.
Die drei nachfolgenden medienwirksamen Fällen aus den letzten Jahren stehen nur beispielhaft dafür, dass digitale Medien längst Einzug in das Jugendstrafrecht gefunden haben und im Bereich der Jugend- und Jugendschutzdelinquenz zunehmend an Bedeutung gewinnen:
Die Jugendkammer des LG Hamburg verurteilte am 20.10.2016 vier von fünf Angeklagten zu Jugendstrafen (teilweise zur Bewährung), weil sie ein stark alkoholisiertes 14-jähriges Mädchen sexuell missbraucht und das leicht bekleidete Opfer daraufhin bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im Hinterhof abgelegt haben. Dabei filmten sie ihre Taten abwechselnd mit ihren Handys.[1]
Die Große Jugendkammer des LG Passau verurteilte im „Fall Maurice“ am 17.01.2019 drei Angeklagte, davon zu jugendliche Angeklagte zu Jugendstrafen zur Bewährung, weil sie an einer tätlichen Auseinandersetzung beteiligt gewesen seien, infolge derer ein 15-Jähriger so schwer verletzt wurde, dass er kurze Zeit später verstarb. Die Auseinandersetzung sei über die sozialen Medien im Voraus angekündigt und vereinbart worden sein.[2]
Das LG Detmold verurteilte im Februar 2024 drei 15-Jährige wegen Totschlags jeweils zu einer Jugendstrafe von 5 Jahren. Die Kammer war davon überzeugt, dass die Jugendlichen für einen Messerangriff auf einen Obdachlosen verantwortlich waren. Dieser Angriff wurde mit dem Handy gefilmt und das Handyvideo zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht.[3]
Die Erscheinungsformen digitaler Medien sind so vielfältig wie die Deliktsnatur selbst. In Jugendstrafverfahren scheint es fast so, als sei das Handy ständige Begleiter bei diversen Delikten. Technische Hürden gibt es für Jugendliche so gut wie gar nicht, denn die Medienkonvergenz bringt es mit sich, dass der Weg von der Handykamera zum Internet durch das Smartphone schnell und zuverlässig offen steht. Möglicherweise sind es genau jene Eigenschaften der digitalen Medien, die in Kombination mit Persönlichkeitsstrukturen von Jugendlichen zur Begehung bestimmter Delikte (ver-)führen. Diese These wurde von der Literatur bereits im Zusammenhang mit dem Internet aufgeworfen, verbunden mit Überlegungen zur Entwicklung „einer Art Cyberkriminologie“[4].
Immer wieder ist festzustellen, dass der digitale Raum neue Gelegenheitsstrukturen und so auch eine neue Form von Jugendkriminalität (digitale Delinquenz) mit sich bringen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Delikte, welche längst schon vor dem Zeitalter der Smartphones und sozialen Online-Plattformen auftraten, wie Gewaltdelikte, Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Ehrverletzungsdelikte und Mobbing. Neu hingegen ist, dass die Taten heute sehr häufig einen Bezug zu digitalen Medien aufweisen. Die besonderen Eigenschaften der digitalen Medien, beispielsweise die Anonymität oder der hohe Öffentlichkeitsgrad, wirken sich erstens begünstigend auf die Tatbegehung und zweitens belastend für das Opfer aus. Der steigende Leidensdruck der Opfer bei zeitgleichem Sinken der Hemmschwellen auf Täterseite macht eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Entwicklung unumgänglich. Die erste Herausforderung besteht demnach darin, digitale Medien intensiver in die kriminalpolitische Diskussion einzubinden.
Zu diesem Zweck muss eine empirisch-sozialwissenschaftliche Grundlage hinsichtlich neuer Medien und Jugenddelinquenz geschaffen werden. Der technische Wandel und die dadurch entstandene Vielfalt der Delikte macht es kaum möglich, vollumfängliche kriminologische Erwägungen anzustellen, was zugleich auch Grund für die bisher nur schleppend vorangehende kriminalpolitische Diskussion sein wird.
Eine weitere Herausforderung besteht in der Erklärung der digitalen Jugenddelinquenz. Kriminologische Erklärungen lassen sich auf der einen Seite aus den Persönlichkeitsstrukturen und dem Kommunikationsverhalten der jungen Beschuldigten, auf der anderen Seite aus der gewaltfördernden Wirkung digitaler (Bild-)Medien herleiten. In diesem Kontext sind auch die steigende Medienausstattung und der ungeübte Umgang mit neuen Medien (Medienkompetenz) bei Jugendlichen und Heranwachsenden nicht zu vernachlässigen.
Die Problematik um die Beteiligung von digitalen Medien in der Jugendkriminalität ist von großer Relevanz und wird mit Blick auf den weitreichenden technischen Fortschritt auch zukünftig Wissenschaft und Praxis beschäftigen.
1) LG Hamburg Jugendkammer, Urteil vom 20.10.2016, 627 KLs 12/16 jug., 627 KLs 12/16 jug. – 7205 Js 83/16, 627 KLs 13/16 jug., 627 KLs 13/16 jug. – 7205 Js 35/16. Nachgehend: BGH, Beschl. v. 22. Januar 2019, 5 StR 583/18.
2) https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/landgericht/passau/presse/2019/3.php
3) https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/haftstrafen-fuer-drei-jugendliche-nach-tod-von-obdachlosen-19541337.html
4) Mischkowitz MschrKrim 2013, 218; vgl. auch Meier, in: Cybercrime und Cyberinvestigations, S. 93 ff.