Home » Klimawandel als rechtfertigender Notstand
Klimawandel als rechtfertigender Notstand
Die zunehmende Besorgnis über die Klimakrise und die damit einhergehenden außergewöhnlichen Protestformen von Aktivist:innen führen zu neuen gesellschaftlichen und insbesondere rechtlichen Diskussionen. Insbesondere die Protestform des „zivilen Ungehorsams“ bringt eine erhöhte Spannung zwischen dem Ziel des Klimaschutzes und der Wahrung der Rechtsordnung mit sich. Beispiele hierfür sind das Ankleben auf Fahrbahnen, das Abseilen von Brücken zur Blockade von Autobahnen oder das Betreten eines Rollfeldes auf einem Flughafen.
Unterstellt man, dass die Protestaktionen tatsächlich Straftaten darstellen, stellt sich die Frage nach einer rechtlichen Rechtfertigung.
Der Begriff des rechtfertigenden Notstands basiert auf der Überlegung, dass bestimmte Straftaten unter außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sein können, sofern dadurch ein größeres Übel verhindert wird. Eine Bejahung dieses rechtlichen Instituts würde dazu führen, dass die handelnden Aktivist:innen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Gegen eine solche Bejahung werden jedoch gewichtige rechtsstaatliche Bedenken vorgebracht. Aus diesem Grund sollen im Folgenden die Voraussetzungen und Grenzen des rechtfertigenden Notstands, die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen sowie die unterschiedlichen juristischen Ansichten näher untersucht werden.
I. Die Notstandslage
Nach § 34 StGB erfordert eine Notstandslage eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut. Eine Gefahr liegt vor, wenn ein Schaden droht, der nur unter erheblich höheren Risiken oder gar nicht mehr abwendbar ist.
Die Erderwärmung führt bereits zu globalen Schäden wie Dürren, Artensterben und Extremwetter, die Gesundheit, Sicherheit und Lebensgrundlagen bedrohen. Wissenschaftler:innen sehen die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius als notwendig an, was völkerrechtlich im Pariser Abkommen anerkannt wurde. Aktuelle Maßnahmen reichen jedoch nicht aus, um dies zu erreichen, und das Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze wird zwischen 2030 und 2035 erwartet.
Besonders kritisch sind „points of no return“, bei deren Überschreiten irreversible Klimakatastrophen drohen. Ein weiteres Verzögern von Maßnahmen erhöht wirtschaftliche und systemische Risiken und erschwert eine rechtzeitige Umsetzung.
Der Klimawandel kann daher eine gegenwärtige Gefahr darstellen, die ein sofortiges Handeln erforderlich macht. Die Voraussetzungen des § 34 StGB sind also erfüllt, sodass eine Notstandslage vorliegt.
II. Die Notstandshandlung
Eine strafrechtliche Rechtfertigung von Klimaaktivismus setzt die Erforderlichkeit und Angemessenheit des Handelns voraus. Im Rahmen einer Interessenabwägung müsste das geschützte Erhaltungsgut, wie zum Beispiel Gesundheit und Sicherheit, deutlich überwiegen.
Erforderlich ist ein Mittel, das zum Klimaschutz geeignet ist und zugleich das mildeste Mittel zur Abwehr der Gefahr darstellt. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, dass sie zur Gefahrabwendung beiträgt. Am Beispiel der Sitzblockaden der Klimaaktivisten soll die Strafrechtliche Rechtfertigung erklärt werden.
Fest steht jedoch, dass Straßenblockaden keinen unmittelbaren Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und damit zur Eindämmung des Klimawandels leisten. Während der Blockaden laufen Fahrzeugmotoren häufig weiter, und die Verkehrsteilnehmenden setzen ihren ursprünglichen Weg im Anschluss in der Regel fort. Es fehlt bislang auch an Nachweisen, dass solche Blockaden eine vermehrte Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel bewirken.
Unstreitig ist jedoch, dass Straßenblockaden Aufmerksamkeit und Provokation erzeugen. Dies könnte mittelbar dazu führen, dass andere Personen oder politische Entscheidungsträger verstärkt Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen. Damit könnte die Geeignetheit der Blockaden im Sinne des § 34 StGB unter der Voraussetzung bejaht werden, dass diese kausal zu effektiven Klimaschutzmaßnahmen beitragen.
Der Staat trägt die Hauptverantwortung für den Schutz der Allgemeinrechtsgüter. Das Gewaltmonopol erlaubt Notstandsmaßnahmen nur, wenn staatliches Handeln versagt. Dies wurde vom OLG Naumburg im Tierschutzfall anerkannt, wo Eingriffe aufgrund behördlicher Untätigkeit gerechtfertigt wurden (Urt. v. 22.02.2018, Az. 2 Rv 157/17). Ob eine solche Argumentation auf Klimaschutzstraftaten übertragbar ist, bleibt offen, könnte jedoch in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
III. Interessenabwägung
Damit Klimaschutz als Rechtfertigungsgrund dienen kann, müsste das eingesetzte Mittel bei einer Interessenabwägung das beeinträchtigte Rechtsgut deutlich überwiegen. Dies wird in der Rechtsprechung selten geprüft, da Notstandshandlungen oft an der Erforderlichkeit scheitern. Im „Flensburger Baumurteil“ entschied das Amtsgericht, dass bei einem Konflikt zwischen Art. 20a GG (Klimaschutz) und Art. 14 GG (Eigentum) kein Vorrang des Klimaschutzes besteht. Art. 20a GG begründet lediglich einen Schutzauftrag für den Gesetzgeber und ist kein einklagbares Grundrecht. Dennoch hob das AG Flensburg die besondere Schutzwürdigkeit des Klimaschutzes hervor, relativierte diese aber aufgrund des Bagatelldelikts Hausfriedensbruch und fehlender Menschenwürdeverletzung (Urt. v. 06.12.2022, Az. 440 Cs 107 Js 7252/22). Diese Entscheidung könnte dazu beitragen, den Klimabeschluss des BVerfG in künftigen Verfahren stärker zu berücksichtigen.
IV. Fazit
Zurzeit sehen sowohl die herrschende Rechtsprechung als auch die überwiegenden Literaturstimmen sogenannte Klimaschutzstraftaten nicht als notstandsfähige Handlung an. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass es sich bei der Klimakrise um eine hochkomplexe Gefahr handelt, die nicht durch einzelne Rettungshandlung abgewendet werden kann. Gerade bei mittelbaren Aktionen, wie Straßenblockaden, ergibt sich das Problem der Wahl des mildesten, aber effektivsten Mittel im Rahmen einer Rechtfertigungsprüfung. Das gewichtigste Argument gegen die Bejahung des rechtfertigenden Notstandes ist schließlich das Gewaltmonopol des Staates. Denn es ist die Aufgabe des Rechtsstaates, Gefahren für Allgemeinrechtsgüter, welche sich aus der Klimakrise ergeben, abzuwenden. Verfehlt dieser doch zukünftig weiterhin die selbst gesetzten Klimaschutzmaßnahmen, die völkerrechtlich vereinbarten Ziele des Pariser Klimaabkommens und die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG, könnte mit einem Wandel bei der strafrechtlichen Auseinandersetzung mit dafür relevanten Klimaprotesten gerechnet werden.