Sexuelle Handlung oder strafloses Verhalten - Wann die Schwelle zur Erheblichkeit überschritten ist

Ein Bild auf dem Handy, ein kurzer Clip im Chat, eine Geste, die falsch verstanden wird – und plötzlich steht der Vorwurf einer Sexualstraftat im Raum. Gerade bei vermeintlich unerheblichen Vorfällen ist die Verunsicherung groß: War das schon eine strafbare sexuelle Handlung?

Hier setzt § 184h Nr. 1 StGB an. Die Vorschrift sorgt dafür, dass nicht jede Berührung, jedes Video oder jede Anspielung automatisch eine Verurteilung wegen einer Sexualstraftat zur Folge hat. Die entscheidende Frage nach dieser Vorschrift: War die Handlung von „einiger Erheblichkeit“Diese Schwelle ist zentral – aber in der Praxis oft unbekannt oder wird vorschnell übergangen. In diesem Beitrag soll es darum gehen, was unter dieser Erheblichkeit zu verstehen ist – und warum sie so oft den Unterschied macht.

Was bedeutet „Erheblichkeit“ im Sinne des § 184h StGB?

Der deutsche Gesetzgeber sieht im Sexualstrafrecht eine zentrale Schutzfunktion: Die Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung, insbesondere von Kindern und anderen schutzwürdigen Personen. In diesem Zusammenhang nimmt der Begriff der „Erheblichkeit“ sexueller Handlungen eine besondere Rolle ein: Er entscheidet maßgeblich darüber, ob eine Handlung überhaupt strafbar ist.

Allerdings findet sich im Gesetzbuch keine Legaldefinition für den Begriff der „Erheblichkeit“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu eine klare Formel entwickelt: Sexualbezogene Handlungen gelten als erheblich, wenn sie nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts besorgen lassen. Mit anderen Worten: Nicht jede Handlung mit sexuellem Bezug ist automatisch strafbar – sie muss ein gewisses Gewicht haben.

Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus. Unerheblich ist hingegen, ob das Opfer den sexuellen Charakter der Handlung erkennt. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für die Fälle entschieden, in denen an Kindern vorgenommene sexualbezogene Tätigkeiten zu bewerten waren.

Zwei Kategorien von sexuellen Handlungen im Strafrecht

 

Die Rechtsprechung unterscheidet grundsätzlich zwei Kategorien:

  1. Eindeutig sexuelle Handlungen mit deutlichem Geschlechtsbezug, wie z. B. das Berühren unbekleideter Intimzonen, das gezielte Zeigen sexueller Handlungen oder die Darstellung von Geschlechtsverkehr und
  2. Ambivalente oder grenzwertige Handlungen, bei denen erst im Zusammenspiel mit Motivation, Kontext und Wirkung entschieden werden kann, ob ein Sexualbezug vorliegt.

Gerade in dieser zweiten Kategorie ist die Bewertung oft schwierig. Ein Beispiel: Das Video eines Teenagers am Strand, das aus Sicht der Ermittlungsbehörden „anzüglich“ wirkt, kann sich bei genauer Betrachtung als völlig harmlos erweisen – etwa, weil keinerlei sexuelle Handlung oder Zielrichtung erkennbar ist.

 

Typische Konstellationen in der Praxis – Was ist keine sexuelle Handlung?

Nicht als erhebliche sexuelle Handlungen gelten etwa:

  • Kurze, nicht auf Erregung zielende Berührungen, etwa im Rahmen eines Spiels oder medizinischen Vorgangs,
  • Darstellungen in Filmen, Serien oder Aufklärungsmaterial, sofern sie einem künstlerischen, dokumentarischen oder pädagogischen Zweck dienen,
  • Alltägliche Szenen mit nackter Haut ohne sexuelle Handlung, z. B. Kinder beim Baden, Urlaubsszenen oder Sportaufnahmen oder
  • Satirische oder ironische Inhalte ohne reale sexuelle Komponente oder Absicht.

Die Einordnung solcher Fälle hängt stark von den Umständen des Einzelfalles ab – insbesondere vom Verhältnis der beteiligten Personen, der erkennbaren Absicht und der Wirkung auf außenstehende Betrachter.

Die Gefahr der Überkriminalisierung – Ermittlungen trotz Unschuld

In der Praxis zeigt sich: Die gesetzlich vorgesehene Differenzierung wird von Ermittlungsbehörden oft nicht ausreichend beachtet. Der Fund eines verdächtigen Fotos oder Clips genügt häufig, um Ermittlungsverfahren in Gang zu setzen und Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen durchzuführen – obwohl die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit gar nicht vorliegen.

Für die Betroffenen kann dies massive Konsequenzen haben, unter anderem:

  • Rufschädigung und mediale Vorverurteilung
  • Berufliche Suspendierung oder dienstrechtliche Maßnahmen
  • Verlust von Waffenbesitzkarte, Führungszeugniseinträgen oder Sorgerecht
  • Persönliche Belastungen durch das Ermittlungsverfahren selbst

 

Fazit: Warum die Erheblichkeitsschwelle entscheidend ist

Die Erheblichkeitsschwelle ist juristisch notwendig, denn sie soll zwischen strafwürdigem und sozial noch tolerierbarem Verhalten unterscheiden. In der Praxis führt sie jedoch häufig zu Unsicherheiten, besonders in Fällen mit kindlichen Opfern. Die Rechtsprechung bleibt stellenweise inkonsequent und schwer vorhersehbar. Die Abgrenzung zwischen straflosem Übergriff und strafbarer Tat bleibt ein schmaler Grat, der Betroffene wie auch Fachleute häufig ratlos zurücklässt und für Unschuldige häufig mit erheblichen Konsequenzen verbunden ist. Hier besteht letztlich Reformbedarf, um den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung klarer und nachvollziehbarer zu gestalten.

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