Das erste Mal bei Gericht

Unsere Praktikantin, Frau Anabell Vogel, nahm im Rahmen ihres Praktikums in unserer Strafrechtskanzlei das erste Mal an einer Gerichtsverhandlung teil. Ihre teils schockierenden, teils positiven Eindrücke legt Frau Vogel im nachfolgenden Beitrag offen.

Gerechtigkeit, Respekt, Förmlichkeit – diese Begriffe verbinden viele Menschen mit dem Gericht. Doch wie läuft es wirklich ab?

Diese Frage stellte sich mir, als ich im Rahmen meines Praktikums zum ersten Mal eine Gerichtsverhandlung miterleben durfte.

Vor meinem ersten Besuch im Gericht war ich voller Erwartungen und Nervosität. Ich nahm an, dass alle Beteiligten strengen Verhaltensregeln folgen müssten. Insbesondere sollte man durch sein Verhalten, seine Kleidung und seine Sprache respektvoll in Erscheinung treten. Pünktlichkeit und das Ausschalten des Handys waren für mich selbstverständlich. Zudem erwartete ich eine angespannte Atmosphäre, da das Resultat der Gerichtsverhandlung das Leben des Angeklagten erheblich beeinflussen könnte.

Von der Zuschauerbank aus verfolgte ich das Geschehen aufmerksam und stellte schnell fest, dass meine Vorstellung von einer Gerichtsverhandlung nicht ganz der Realität entsprach.

Zunächst überraschte mich die lockere Art des Richters. Er unterhielt sich gelassen mit den Beteiligten und schien nicht viel Wert auf gewisse Formalitäten zu legen. Die verspätete Ankunft des Zeugen und das Benutzen von Handys schienen ihn wenig zu stören. Ich fragte mich, ob der Ernst der Angelegenheit nicht deutlich genug sei. Besonders fiel mir auf, wie schnell die Menschlichkeit des Angeklagten in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Last seiner Taten war ihm deutlich anzusehen, doch erst gegen Ende der Verhandlung wurde dies von Richter und Staatsanwaltschaft wahrgenommen.

Eine meiner größten Erkenntnisse war die zentrale Rolle von Vorbereitung und Recherche für einen erfolgreichen Auftritt im Gericht. Ich konnte einige der Dokumente einsehen, die die Verteidigung vorbereitet hatte, und es wurde mir klar, dass jedes Detail zählt. Vom Sachverhalt bis hin zu den relevanten Gesetzen – alles muss sorgfältig durchdacht sein. Daher war ich verwundert, als der Richter an der Vorgehensweise der Verteidigung zweifelte und sogar einen nicht rechtmäßigen Anklagepunkt hinzufügen wollte. Erst nachdem die Verteidigung und ein Referendar der Staatsanwaltschaft ihn darauf hingewiesen hatten, erkannte er seinen Fehler. Dadurch verdeutlichte sich die essentielle Fähigkeit zur Improvisation: Manchmal verlief die Verhandlung nicht wie geplant und die Verteidigung muss schnell reagieren. Diese Flexibilität, gepaart mit einem tiefen Verständnis des Rechts ist entscheidend für den Erfolg eines Falles.

Obwohl meine erste Erfahrung im Gericht ernüchternd war, verlor ich nicht die Hoffnung in unser Rechtssystem. Bei meiner nächsten Gerichtsverhandlung durfte ich beobachten, dass es auch anders laufen kann. Der Richter konzentrierte sich auf das Wesentliche, was den Prozess beschleunigte. Zudem trug seine freundliche und zugleich autoritäre Ausstrahlung zu einer angenehmeren Atmosphäre bei. Mir wurde bewusst, dass jeder Fall einzigartig ist und Eintönigkeit im Gericht selten Platz findet.

Insgesamt waren meine Erfahrungen im Gericht sowohl lehrreich als auch aufregend. Sie haben mir eindrucksvoll die Bedeutung von Abläufen, Formalitäten und Professionalität vor Augen geführt. Insbesondere wurde mir bewusst, dass hinter den juristischen Verfahrenstets die Menschlichkeit der Beteiligten steht – sei es der Richter, die Verteidigerin oder der Angeklagte.

Diese Erlebnisse haben meinen Wunsch, Anwältin zu werden und Menschen in schwierigen Situationen zu helfen, noch intensiver verstärkt. Ich freue mich darauf, in Zukunft einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können, indem ich sichergehe, dass das Wohl der Menschen im Mittelpunkt jeder rechtlichen Auseinandersetzung steht.

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