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Forderung nach härteren Strafen für Heranwachsende
Warum wir das Jugendstrafrecht nicht „ausmerzen“ sollten
Täglich grüßt die Kritik an den Altersgrenzen im Jugendstrafrecht. Jüngst erklärt der Unions- Kanzlerkandidat Friedrich Merz in einem Interview mit der BILD, „schockiert“ über den Alltag in deutschen Gerichtssälen zu sein. Ohne dies näher zu konkretisieren, folgt sodann ein Vorschlag seinerseits, die „Strafmündigkeit“ weiter herabzusetzen. Laut Merz würde die Strafmündigkeit bei Jugendlichen derzeit zwischen 18 und 21 Jahren liegen, wobei zwischen 18 und 21 „fast regelmäßig“ nach Jugendstrafrecht und nicht nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werde. Und das würde Merz gern ändern wollen.[1]
Die Kritik an den Altersgrenzen im Jugendstrafrecht ist weder überraschend noch originell. Für einige gehört sie zum „Wahlkampf-Starterpaket“. So gab schon 2020 die AfD-Politikerin Beatrix von Storch ein auffallend wortgleiches Statement wie Merz ab.[2]
Vielleicht sind sich die beiden in deutschen Gerichtssälen öfter begegnet. Vielleicht hat man sich im Zuschauerbereich zugeflüstert, am Amtsgericht Tiergarten, nachdem sich der Jugendrichter in seiner zweiten Sitzung erneut gegen eine Freiheitsstrafe und für Arbeitsstunden entschied, die er dem 19-jährigen Fahrraddieb auferlegte. Vielleicht folgte hierauf verständnisloses Kopfschütteln der beiden Juristen auf den Zuschauerplätzen.
Fahrradreifen am Fahrradständer
Es liegt auf der Hand, dass derartige Diskussionen um die Herabsetzung der Altersgrenzen so praxisfremd sind wie die Anwesenheit zweier Politiker in einer Verhandlung vor dem Jugendrichter. Die Debatten zielen ausschließlich auf die (vermeintliche) Erwartungshaltung der Bevölkerung ab und verkennen dabei den eigentlichen Wert unserer Rechts- und Gesetzeslage.
Apropos Gesetzeslage – der von Merz so inflationär verwendete Begriff der „Strafmündigkeit“ schließt bereits sowohl Jugendliche als auch Heranwachsende mit ein. Maßgeblich ist der Beginn des 14. Geburtstages, § 19 StGB i.V.m. § 187 BGB. Die Herabsetzung der Strafmündigkeit im eigentlichen Sinne mag zwar immer wieder Gegenstand zahlreicher Diskussionen in Wissenschaft und Politik sein – vorliegend geht es allerdings ausschließlich um die Forderung nach einer härteren Bestrafung für Heranwachsende, womit Personen zwischen 18 und 20 Jahren gemeint sind. Gegenstand der aktuellen Debatte ist also die konsequente Anwendung von „Erwachsenenstrafrecht“ ab Eintritt der Volljährigkeit und damit eine Abschaffung von § 105 JGG.
Die bestehende Regelung des § 105 JGG sieht vor, dass auf Heranwachsende nur bei Vorliegen der entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen Jugendstrafrecht angewendet wird. Andernfalls findet das Allgemeine Strafrecht Anwendung. Die Bewertung der Frage, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist, entscheidet das Gericht individuell. Als Hilfsmittel steht ihm die Einschätzung der Jugendhilfe im Strafverfahren zur Verfügung.
Aber welchen Preis zahlen wir, wenn wir künftig auf eine einzelfallabhängige Einbeziehung Heranwachsender in das Jugendstrafrecht verzichten?
In der Fachwelt unbestritten ist, dass die Jugendphase heute bis weit in das dritte Lebensjahr reicht. Der erste Job, die erste eigene Wohnung oder auch die Familiengründung erfolgt heute im Durchschnitt erst nach dem 21. Lebensjahr. Auch die neurobiologische Reifung des Gehirns, insbesondere die für die Verhaltenssteuerung verantwortlichen Teile, dauert bis deutlich in die Altersphase zwischen 20 und 30 an.[3] Dass sich ein Mensch mit Eintritt in die Volljährigkeit plötzlich erheblich in seiner sittlichen und geistigen Entwicklung von einem unter 18-Jährigen unterscheidet, ist lebensfern. Mit einer ausnahmslosen Anwendung des allgemeinen Strafrechts würde man die menschlichen Entwicklungsprozesse konsequent ignorieren.
Überdies ist aus der Rückfallforschung bekannt, dass Freiheitsstrafen kaum einen Beitrag zur Verhinderung von Wiederholung von Straftaten, wohl aber zur Verfestigung krimineller Karrieren haben.[4] Weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen ist die strikte Anwendung von Erwachsenenstrafrecht daher zielführend. Gerade jungen Ersttätern lassen sich auch mit jugendstrafrechtlichen Sanktionen abschrecken.
Leider steckt der Fehler häufig schon in der Annahme, die Sanktionspraxis im Jugendstrafrecht sei deutlich milder als im Erwachsenenstrafrecht. Eine Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (DVJJ) trifft es allerdings auf den Punkt:[5]
„Wer strafrechtlich verantwortlich ist, wird zur Verantwortung gezogen. […] Das Jugendstrafrecht trifft den jungen Menschen nicht weniger hart als das Erwachsenenstrafrecht, es trifft ihn nur zielgerichteter und dabei möglichst individuell, passgenau und ressourcenorientiert.“
Eine ausschließliche Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende würde gleichzeitig die Abschaffung eines flexiblen und praxisbewährten Systems bedeuten. Lassen wir es also nicht so weit kommen: § 105 JGG bleibt!
3) Erkenntnisse der Neurowissenschaften zur Gehirnreifung („brain maturation“) – Argumente für ein Jungtäterstrafrecht, in: ZJJ 2/2017, S. 123-129.
4) Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung 2006, S. 665 f.