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Ist "Catcalling" bald strafbar?
Catcalling – hinterhergerufene Kommentare, Pfeifen oder anzügliche Gesten – gehört für viele Menschen, insbesondere Frauen und Mitglieder der LGBTQIA+-Community, zum Alltag. Doch obwohl solche Verhaltensweisen oft tiefgreifend verletzend sein können, gibt es für Catcalling derzeit keinen eigenen Straftatbestand. Dagegen steht in vielen anderen europäischen Ländern verbale sexuelle Belästigung im Strafgesetzbuch: In Belgien, Portugal und den Niederlanden werden nichtkörperliche Übergriffe wie anzügliche Kommentare oder Gesten als Straftat geahndet. Frankreich hat zudem eine Regelung eingeführt, die es ermöglicht, solche Verhaltensweisen als Ordnungswidrigkeit zu bestrafen.
Ein neuer Gesetzesentwurf soll das jetzt auch in Deutschland ändern und setzt sich für eine Erweiterung des Strafgesetzbuches ein.
Warum ist Catcalling bislang nicht strafbar?
Das deutsche Strafrecht erfasst derzeit vor allem körperliche Übergriffe im Rahmen sexueller Belästigung (§ 184i StGB). Verbale Belästigungen fallen nicht unter diesen Straftatbestand. Auch eine Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) ist nur in seltenen Fällen möglich, da laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Verletzung der Ehre vorausgesetzt wird – bloß anzügliche oder sexualisierte Äußerungen genügen dafür nicht.
Diese Lücke sorgt dafür, dass viele Formen der verbalen sexuellen Belästigung weder strafrechtlich noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Niedersachsen sieht hierin ein dringendes Problem für das gesellschaftliche Zusammenleben und den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung.
Was genau sieht der Gesetzesvorschlag vor?
Mit dem neuen Straftatbestand soll § 184i StGB um einen Absatz erweitert werden. Künftig soll es strafbar sein, eine Person in sexuell bestimmter Weise verbal oder nonverbal erheblich zu belästigen. Dies umfasst nicht nur anzügliche Bemerkungen, sondern auch Gesten oder Geräusche mit eindeutig sexueller Konnotation. Der Strafrahmen sieht Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr vor.
Das Merkmal „erheblich“ spielt eine wichtige Rolle: Es soll sicherstellen, dass nur gravierende Fälle verfolgt werden. Einfaches Pfeifen oder einmaliges Starren würde in der Regel nicht unter den neuen Tatbestand fallen.
Was spricht für eine Gesetzesänderung?
Studien zeigen, dass Catcalling erhebliche psychische Folgen für die Betroffenen haben kann. Es verletzt nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung, sondern schafft ein Klima, in dem Menschen sich unsicher und erniedrigt fühlen. Die Einführung dieses Gesetzes wäre ein wichtiger Schritt, um das Bewusstsein für verbale sexuelle Belästigung zu schärfen und Betroffene besser zu schützen. Es würde klarstellen, dass respektloses Verhalten in der Öffentlichkeit nicht toleriert wird. Gleichzeitig ist es ein Signal dafür, dass sexuelle Selbstbestimmung ein besonders schützenswertes Gut ist – unabhängig davon, ob ein Übergriff körperlich ist oder nicht.
Kritik und Herausforderungen
Wie bei jeder Gesetzesverschärfung gibt es auch hier Diskussionen über die richtige Balance zwischen Schutz der Betroffenen und der Wahrung der Meinungsfreiheit. Der Entwurf sieht zwar vor, dass nur Fälle sanktioniert werden sollen, welche die Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Kritiker bemängeln jedoch, dass die genaue Definition von „erheblich“ in der Praxis zu Streit führen könnte.
Des Weiteren führen Kritiker an, dass das Bestimmtheitsgebot, welches sich vom Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ableiten lässt, missachtet sein könnte. Bürger müssen ihr Verhalten verlässlich auf die geltende Rechtslage einstellen können und Straftatbestände müssen demnach so formuliert sein, dass jeder zu jedem Zeitpunkt wissen kann, was verboten ist und was erlaubt ist. Angesichts der Bestimmtheit könnte es schwierig sein, als Bürger einzuordnen, ab wann die Schwelle zum „erheblich“ überschritten wurde (vgl. Steiner, ZRP 2021, 243).
Weiterhin wird die mögliche schwierige Beweislage kritisiert. Catcalling findet meist im öffentlichen Raum, bei kurzen Begegnungen statt. Es könnten daher problematisch sein, anschließend nachzuvollziehen, wer eine Straftat begangen hat und ob diese den Straftatbestand von Catcalling erfüllt.
Außerdem stellen Kritiker auf den Grundsatz „ultima ratio“ ab. Nach diesem soll ein neues Gesetz der letzte Lösungsansatz sein, wenn kein anderer effektiver Rechtsschutz besteht. Nach Ansicht der Kritiker fällt Catcalling bereits unter § 185 StGB, wenn der personelle Anstandsanspruch signifikant verletzt wird. Wenn Catcalling hinsichtlich physischer Übergrifflichtkeiten eskaliere, würden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einschlägig sein. Somit bestehe kein Handlungsbedarf für eine weitere Verbotsnorm (vgl. Steiner, ZRP 2021, 243).
Wie geht es nun weiter?
Der Bundesrat wird über den niedersächsischen Vorschlag beraten. Es bleibt abzuwarten, ob das Vorhaben auf Bundesebene umgesetzt wird.